Wie wir sprechen Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das nicht nur verschiedene Laute von sich geben kann, sondern auch über eine komplexe Sprache verfügt. Spra- che ist das, was im Gehirn stattfindet – und Sprechen ist die Artikulation mit dem Kehlkopf. Das funktioniert so: Die Luft aus unserer Lunge versetzt die Stimmlippen im Kehlkopf in sehr schnelle Schwingungen. Daraus ent- steht der primäre Ton. Außerdem gibt es Obertöne im Mund-Nasen-Raum – dem Resonator oder Vokaltrakt –, die mal abgeschwächt, mal verstärkt wer- den. So können wir über den Kehlkopf zwar immer nur die gleichen Laute er- zeugen, diese durch unseren Resona- tor aber verändern. So gelingt es auch manchen Menschen, Tierstimmen zu imitieren, oder Metal-Sängern, extrem tiefe Töne von sich zu geben – ohne selbst über eine besonders tiefe Sprechstimme zu verfügen. Der Zahn spricht mit Sprache ist ein komplexes Zusam- menspiel von Stimmbändern, Zunge, Lippen und Zähnen. Sie entsteht im Mund – wie unsere Stimme klingt, hängt also auch von der Größe unse- rer Mundhöhle ab oder davon, wie unsere Zähne stehen und ob welche fehlen. Sprachwissenschaftler von der Universität Zürich fanden her- aus, dass bestimmte Laute auch von körperlichen Merkmalen beeinflusst sind, vor allem die sogenannten La- biodentale – die Laute f und w. Dafür müssen die oberen Schneidezähne die untere Lippe berühren. Vorausset- zung für ihre Bildung ist ein leichter Überbiss. Von Geburt an haben wir in der Regel einen leichten Überbiss, der durch das Aufkommen weicherer und gekochter Nahrung den Menschen erhalten blieb – so konnten sich die labiodentalen w- und f-Laute etablie- ren. Sollten wir uns immer mehr auf eine Weise ernähren, die Zähne im Grunde überflüssig macht, würden die Menschen in der fernen Zukunft also sehr wahrscheinlich anders spre- chen als heute. Wenn die Stimme bricht In der Pubertät kann in kurzer Zeit aus einem fiepsigen Jungenstimm- chen eine sonore Männerstimme werden. Das liegt daran, dass bei Jungen Kehlkopf und Stimmbänder in kurzer Zeit sehr schnell wachsen – um bis zu zehn Millimeter und mehr. Das muss das Gehirn erst mal verarbeiten, und im Zuge dessen kann die Stimme dann häufig hin und her kippen, bis sie stabil ist. Auch bei Mädchen ver- längern sich Stimmbänder und Kehl- kopf, allerdings nur um etwa drei bis vier Millimeter, und das auch wesent- lich langsamer. Der Unterschied ist dann weniger deutlich zu hören. Ein Auf und Ab im Alter Im Laufe unseres Lebens verändert sich das Gewebe rund um den Kehl- kopf. Die Elastizität von Muskeln und Bändern lässt nach, die Schleimhäu- te der Stimmlippen werden dünner. Dies führt zu einem Phänomen, das sich „Altersstimme“ nennt: Die Stim- men von Männern werden im Alter immer höher, während die Stimmen einiger Frauen nach den Wechseljah- ren an Höhe verlieren. Bei Männern schwingt weniger Masse und die Stimmlippen schließen nicht mehr perfekt – um dies auszugleichen, ver- größert der Körper die Spannung, was den Ton erhöht. Bei Frauen schwingt mehr Masse, wodurch die Stimme tiefer wird. Dies liegt daran, dass sich das Stimmlippengewebe durch die Hormonumstellung eher verdichtet. Hört sich gut an. Wie sympathisch uns jemand beim ersten Eindruck ist, hängt – je nach Erhebung – zu zwischen 34 und 38 Prozent davon ab, wie man spricht. Was wir sagen, spielt da mit etwa sie- ben Prozent eine eher kleine Rolle. Wann nehmen wir eine Stimme als angenehm wahr? Das hängt stark mit unseren Hörgewohnheiten zu- sammen. Alte Menschen nehmen wir beispielsweise oft als weise wahr, was auch an ihren oft rauen, heiseren und etwas brüchigen Stimmen liegt. Viele Menschen nehmen warme und volle Stimmen als angenehm wahr – also tendenziell tiefere Stimmen, die nicht schreien und nicht zu leise sind. Dies trifft eher auf männliche Stim- men zu, was ebenfalls mit unseren Hörgewohnheiten zusammenhängt: Immerhin begegnen uns in den Nachrichten, der Politik, der Kirche, in Hörspielen oder Podcasts bis heu- te größtenteils Männerstimmen. Und Gewohntes nehmen wir häufig als an- genehm wahr. Tatsächlich gibt es im europäischen Raum die Entwicklung, dass die Sprechstimmen von Frauen immer tiefer werden. Sag mir irgendwas – und ich sag dir, wer du bist Unsere Stimme sagt viel über uns aus. Derzeit wird an intelligenten Stimmanalysesystemen gearbei- tet, die schon nach wenigen Worten Auskunft über unser Persönlich- keitsprofil und unsere Emotionen geben sollen. So gibt es beispielswei- se Programme, die fünf Merkmale einer Persönlichkeit „erhören“: Wie experimentierfreudig und offen für Neues wir sind (Openness), unsere Gewissenhaftigkeit (Conscientious- ness), wie gesellig jemand ist (Extra- version), die Team- und Empathie- fähigkeit (Agreeableness) und die Neurotizität – also ob jemand in sich ruht oder emotional eher labil ist. Wie wir warum sprechen, ist aber wirklich sehr individuell, daher funktionieren diese Programme oft noch nicht hun- dertprozentig. So ganz durchschau- bar sind wir also doch nicht – bezie- hungsweise durchhörbar. mhplusdu Standardausgabe 02/22 | 11