Hochzeiten oder Kindergeburtstage feiern, gemeinsam als Familie täglich bei Tisch sitzen oder jeden Abend eine Gutenachtgeschichte vorlesen – in unserem Leben gibt es eine ganze Reihe von festen Ritualen. Sie erfüllen eine wichtige Rolle. So, jetzt ab ins Bett und dann gibt es noch die Geschichte von der kleinen Raupe Nimmersatt.“ Ein Satz, der so oder so ähnlich für viele kleine Kinder das Signal ist, dass jetzt Schlafenszeit ist. Ein allabendlicher Ablauf, der bei vielen Familien fest im Alltag verankert ist. Er ist zu einem alltäglichen Ritual geworden. Und davon gibt es in unserem Leben viele. Aber was ist das eigentlich genau, ein Ritual? Was zeichnet es aus? Wissenschaftler haben dafür einige Wesensmerkmale ausgemacht: Rituale sind beispielsweise immer Hand- lungen, keine bloßen Gedankengebilde. Viele Rituale haben Akteure und Zuschauer, zum Beispiel Hochzeiten oder Trauerfeiern. Sie folgen immer einem bestimmten Ablauf, haben einen Anfang und ein Ende. Und sie werden immer wiederholt. Ein anderes Bei- spiel ist das Weihnachtsfest. Wer es feiert, muss sich nicht jedes Mal neu überlegen, wie es ablaufen soll. Es ist in den Familien meist klar strukturiert: So als würden Groß und Klein einem Drehbuch folgen, jeder kennt seine Rolle. Übrigens gibt es auch in Unternehmen Rituale. Beispielsweise gibt es feste Regeln dafür, wer welchen Platz an einem Konferenztisch bei einem Meeting einnimmt. Die Ordnung ist immer gleich. Es wird nicht ausgesprochen, aber jeder weiß, dass der Azubi nicht auf dem Chefsessel sitzt. Das Erfolgsgeheimnis der Rituale Auf der ganzen Welt leben Menschen Rituale aus, und das aus gutem Grund: Sie geben uns Sicherheit auf vielen Ebenen. Rituale geben unserem Alltag aber auch Struktur. Und sie stärken soziale Strukturen. Sie zei- gen nach außen an, wer dazugehört, zum Beispiel zu einer Familie, einer Firma oder einem Verein. Denn Personen, die gemein- sam Rituale ausführen, stärken ihre soziale Bindung. Wir werden uns dann der Tatsache bewusst, dass wir Teil eines großen Ganzen sind. In der Evolution brachten Rituale den Vorteil, dass sie Menschen zu einer Ge- meinschaft zusammenschweißten und sie zusammen größere Überlebenschancen hatten als Einzelgänger. Und so versicherten sie sich gegenseitig, dass sie zusammenge- hören. Rituale vermitteln uns also seit jeher Sicherheit. Sie sind Konstanten in unserem Leben, das sich immer schneller verändert, und sie lassen uns durchatmen. Sie sind verlässlich und wichtige Ankerpunkte. Und genau aus diesem Grund geben wir Rituale auch an unsere Kinder weiter. Rituale als kleine Inseln der Beständigkeit und Orien- tierung. Und sei es nur die Geschichte der Raupe Nimmersatt kurz vor dem Einschlafen. Kinder und Rituale Rituale sind auch für die Jüngsten von gro- ßer Bedeutung. Schon Babys können durch feste Abläufe leichter entspannen, denn sie lernen, was als Nächstes passiert, und kommen zur Ruhe. Sie empfinden insgesamt weniger Stress, weil sie sich nicht ständig neu orientieren müssen. Rituale haben also auch Einfluss auf körperliche Reaktionen: Wenn es leise wird und das Licht ausgeht, schaltet der Körper einen Gang herunter und stellt sich auf das Schlafen ein. Wer jeden Tag zur gleichen Zeit zusammen isst, schafft es eher, dass sich alle Familienmit- glieder mit Appetit an den Tisch setzen. Wichtig ist, dass Rituale mit den Kindern mitwachsen. Werden aus Kindern Leute, ist es Zeit, neue Rituale zu finden, die die familiäre Gemeinschaft stärken. mhplusdu 02/20 | 13